Änderung der st. gallischen Praxis: Pflicht zur Klassifizierung einer Zufahrt über ein Drittgrundstück mit Feinerschliessungsfunktion

Änderung der st. gallischen Praxis: Pflicht zur Klassifizierung einer Zufahrt über ein Drittgrundstück mit Feinerschliessungsfunktion

Das Bau- und Umweltdepartement St. Gallen hat kürzlich in einem Entscheid (BUDE 2023 Nr. 88) die bisherige Praxis in Bezug auf die Erschliessung von Grundstücken zweiter Bautiefe geändert.

Ausgangslage
Die Ausgangslage gestaltet sich folgendermassen: Sie sind Eigentümer der Parzelle 2 und möchten diese überbauen. Ihre Parzelle grenzt nicht direkt an eine öffentliche Strasse. Vor Ihrer Parzelle 2 befindet sich die Parzelle 1, welche direkt an der Kantonsstrasse liegt. Seit vielen Jahren besteht aber eine im Grundbuch eingetragene Zufahrt (Grunddienstbarkeit) und Ihre Parzelle 2 als Grundstück in der zweiten Bautiefe ist über diese Privatstrasse erschlossen.

Was galt bisher?
Damit ein Grundstück als «baureif» gilt und überbaut werden darf, muss es hinreichend erschlossen sein. Dies bedeutet, dass unter anderem eine hinreichende Zu- und Wegfahrt bestehen muss. Bis anhin zählten Hauszufahrten auf dem eigenen Baugrundstück nicht zu der Feinerschliessung und wurden meistens privatrechtlich mittels Fuss- und Fahrwegrecht geregelt (GVP 2011 Nr. 21). Damit eine hinreichende Zu- und Wegfahrt gegeben ist, musste die Strasse daher bis anhin nicht klassiert, resp. der Öffentlichkeit gewidmet werden. Vielmehr galt das Grundstück auch ohne Klassierung als hinreichend erschlossen. Eine Klassierung der Privatstrasse wurde zwar manchmal auch verlangt, jedoch nur bei mehreren Wohneinheiten (konkreter Fall des Departementes: Bei acht Wohneinheiten war eine privatrechtliche Erschliessung im Jahr 2005 nicht mehr genügend).

Keine Probleme ergaben sich bisher, wenn man ein einfaches Ein- oder sogar Mehrfamilienhaus in der zweiten Bautiefe mit einer Privatstrasse über ein Drittgrundstück zugänglich machte. Diese Privatstrassen galten nicht als «Feinerschliessungsanlagen» und wurden entsprechend nicht klassifiziert / im Strassenplan aufgenommen.

Was hat das Baudepartement neu festgelegt?
Das Baudepartement legt nunmehr unmissverständlich fest, dass eine Zufahrt, welche über ein Drittgrundstück führt und ein Baugrundstück in zweiter Bautiefe mit wenigstens einer Wohneinheit erschliesst, als Feinerschliessungsanlage gilt und damit klassifiziert werden muss (mind. als Gemeindestrasse 3. Klasse). Diese Regelung gilt nicht nur bei einer Erweiterung der Wohnnutzung (zusätzliche Wohneinheiten), sondern auch bei Nutzungsänderungen.

Konkreter Wortlaut Baudepartement: «Für die Öffentlichkeitserklärung ist die Anzahl der zu erschliessenden Grundstücke oder Wohneinheiten nicht relevant; entscheidend ist einzig, ob die Strasse der Feinerschliessung dient oder ob sie nur eine private Hauszufahrt darstellt. Eine Strasse wird deshalb gem. Praxis des BUD stets dann als Feinerschliessungsanlage betrachtet … wenn sie über ein Drittgrundstück geführt wird, um ein Grundstück in zweiter Bautiefe mit wenigstens einer Wohneinheit zu erschliessen.»

Was muss neu beachtet werden?
Zur Vereinfachung Ihrer Situation, finden Sie nachstehend ein kurzes Prüfschema, um einzuschätzen, ob die Praxisänderung für Sie relevant ist:

  1. Verfügen Sie über ein Grundstück in der zweiten Bautiefe?
    Ja
  1. Ist das Grundstück mit einer Strasse über das davor liegende Grundstück (1. Bautiefe) erschlossen?
    Ja
  1. Ist die Strasse öffentlich klassifiziert?
    Nein

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird die Zufahrt als «Feinerschliessungsanlage» betrachtet. Dies trägt die Folge mit sich, dass die Strasse zumindest als Gemeindestrasse dritter Klasse zwingend öffentlich erklärt werden muss. Für diese Öffentlicherklärung ist die Gemeinde zuständig. Für ein künftiges Bauprojekt wäre also vorher ein Gesuch bei der Gemeinde einzureichen.

Was passiert, wenn die Zufahrt noch nicht klassiert ist und man trotzdem die Liegenschaft auf dem Grundstück umbauen möchte?
Das Grundstück gilt dann als nicht hinreichend erschlossen. Dies ist relevant, wenn man für den Umbau oder die Renovation oder sogar den Neubau, eine Baubewilligung benötigt. Eine solche kann nämlich abgewiesen werden mit Hinweis darauf, dass das Baugrundstück nicht hinreichend erschlossen ist. Bevor man eine Baubewilligung beantragt, ist es deshalb wichtig, im Strassenplan nachzuschauen, ob die Zufahrt bereits klassiert ist. Ansonsten ist es ratsam, eine Öffentlicherklärung der Zufahrt bei der Gemeinde zu verlangen.

Nina Ramsauer und Andreas Mattle