von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 17. Jul 2024 | Baurecht
Das Bau- und Umweltdepartement St. Gallen hat kürzlich in einem Entscheid (BUDE 2023 Nr. 88) die bisherige Praxis in Bezug auf die Erschliessung von Grundstücken zweiter Bautiefe geändert.
Ausgangslage
Die Ausgangslage gestaltet sich folgendermassen: Sie sind Eigentümer der Parzelle 2 und möchten diese überbauen. Ihre Parzelle grenzt nicht direkt an eine öffentliche Strasse. Vor Ihrer Parzelle 2 befindet sich die Parzelle 1, welche direkt an der Kantonsstrasse liegt. Seit vielen Jahren besteht aber eine im Grundbuch eingetragene Zufahrt (Grunddienstbarkeit) und Ihre Parzelle 2 als Grundstück in der zweiten Bautiefe ist über diese Privatstrasse erschlossen.
Was galt bisher?
Damit ein Grundstück als «baureif» gilt und überbaut werden darf, muss es hinreichend erschlossen sein. Dies bedeutet, dass unter anderem eine hinreichende Zu- und Wegfahrt bestehen muss. Bis anhin zählten Hauszufahrten auf dem eigenen Baugrundstück nicht zu der Feinerschliessung und wurden meistens privatrechtlich mittels Fuss- und Fahrwegrecht geregelt (GVP 2011 Nr. 21). Damit eine hinreichende Zu- und Wegfahrt gegeben ist, musste die Strasse daher bis anhin nicht klassiert, resp. der Öffentlichkeit gewidmet werden. Vielmehr galt das Grundstück auch ohne Klassierung als hinreichend erschlossen. Eine Klassierung der Privatstrasse wurde zwar manchmal auch verlangt, jedoch nur bei mehreren Wohneinheiten (konkreter Fall des Departementes: Bei acht Wohneinheiten war eine privatrechtliche Erschliessung im Jahr 2005 nicht mehr genügend).
Keine Probleme ergaben sich bisher, wenn man ein einfaches Ein- oder sogar Mehrfamilienhaus in der zweiten Bautiefe mit einer Privatstrasse über ein Drittgrundstück zugänglich machte. Diese Privatstrassen galten nicht als «Feinerschliessungsanlagen» und wurden entsprechend nicht klassifiziert / im Strassenplan aufgenommen.
Was hat das Baudepartement neu festgelegt?
Das Baudepartement legt nunmehr unmissverständlich fest, dass eine Zufahrt, welche über ein Drittgrundstück führt und ein Baugrundstück in zweiter Bautiefe mit wenigstens einer Wohneinheit erschliesst, als Feinerschliessungsanlage gilt und damit klassifiziert werden muss (mind. als Gemeindestrasse 3. Klasse). Diese Regelung gilt nicht nur bei einer Erweiterung der Wohnnutzung (zusätzliche Wohneinheiten), sondern auch bei Nutzungsänderungen.
Konkreter Wortlaut Baudepartement: «Für die Öffentlichkeitserklärung ist die Anzahl der zu erschliessenden Grundstücke oder Wohneinheiten nicht relevant; entscheidend ist einzig, ob die Strasse der Feinerschliessung dient oder ob sie nur eine private Hauszufahrt darstellt. Eine Strasse wird deshalb gem. Praxis des BUD stets dann als Feinerschliessungsanlage betrachtet … wenn sie über ein Drittgrundstück geführt wird, um ein Grundstück in zweiter Bautiefe mit wenigstens einer Wohneinheit zu erschliessen.»
Was muss neu beachtet werden?
Zur Vereinfachung Ihrer Situation, finden Sie nachstehend ein kurzes Prüfschema, um einzuschätzen, ob die Praxisänderung für Sie relevant ist:
- Verfügen Sie über ein Grundstück in der zweiten Bautiefe?
Ja
- Ist das Grundstück mit einer Strasse über das davor liegende Grundstück (1. Bautiefe) erschlossen?
Ja
- Ist die Strasse öffentlich klassifiziert?
Nein
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird die Zufahrt als «Feinerschliessungsanlage» betrachtet. Dies trägt die Folge mit sich, dass die Strasse zumindest als Gemeindestrasse dritter Klasse zwingend öffentlich erklärt werden muss. Für diese Öffentlicherklärung ist die Gemeinde zuständig. Für ein künftiges Bauprojekt wäre also vorher ein Gesuch bei der Gemeinde einzureichen.
Was passiert, wenn die Zufahrt noch nicht klassiert ist und man trotzdem die Liegenschaft auf dem Grundstück umbauen möchte?
Das Grundstück gilt dann als nicht hinreichend erschlossen. Dies ist relevant, wenn man für den Umbau oder die Renovation oder sogar den Neubau, eine Baubewilligung benötigt. Eine solche kann nämlich abgewiesen werden mit Hinweis darauf, dass das Baugrundstück nicht hinreichend erschlossen ist. Bevor man eine Baubewilligung beantragt, ist es deshalb wichtig, im Strassenplan nachzuschauen, ob die Zufahrt bereits klassiert ist. Ansonsten ist es ratsam, eine Öffentlicherklärung der Zufahrt bei der Gemeinde zu verlangen.
Nina Ramsauer und Andreas Mattle
von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 14. Apr 2022 | Baurecht
Die vergangenen Jahre haben für den Bausektor einige der grössten Turbulenzen betreffend Lieferprobleme und Bauverzögerungen in der jüngeren Geschichte verursacht. Nachdem die Pandemie zuerst zu Schliessungen und Lieferproblemen sowohl in den Herkunftsländern des Materials als auch in der Schweiz führte, blockierte in der ersten Jahreshälfte zudem noch ein Schiff die für Materiallieferungen so wichtige Schiffsroute durch den Suezkanal. Nachdem gegen Ende 2021 eine gewisse Normalisierung der Pandemie und damit der allgemeinen Situation erhofft wurde, entstand durch den Ukraine Krieg wiederum eine vollkommen neue und unerwartete Situation. Alle diese Faktoren hatten einen wesentlichen Einfluss auf die Materialpreise (insbesondere Stahl, Holz, Treibstoffe etc.).
Für den Bauunternehmer können Materialteuerungen gravierende Folgen haben. Grundsätzlich ist zu empfehlen, dass die Möglichkeit der Teuerung bei der Eingabe der Offerte bzw. beim Vertragsschluss offen angesprochen und im Voraus geregelt wird (spezifische Vertragsbestimmung oder Verweis auf eine gesonderte Teuerungsabrechnung wie bspw. SIA-118).
In der Praxis stellen wir aber fest, dass die Auftragsvergabe oft mittels eines Fixpreises (Pauschal- oder Einheitspreis) ohne Vereinbarung zur Teuerung erfolgt. Dies bedeutet, dass die Höhe der Vergütung im Voraus genau bestimmt ist. In diesem Fall ist der Unternehmer verpflichtet, das Werk um diese Summe fertigzustellen, selbst wenn er grössere Auslagen (Preissteigerungen) hat, als vorgesehen war (Gesetzeswortlaut, Art. 373 OR). Hiervon nicht erfasst sind natürlich Änderungen an der Ausführung auf Wunsch des Auftraggebers. Was für Arbeiten von der ursprünglichen Offerte miterfasst sind, ist durch Auslegung zu ermitteln.
Der vereinbarte Fixpreis kann in der aktuellen Teuerungssituation für den Unternehmer nicht nur einfach dazu führen, dass für das Bauprojekt kein oder ein tieferer Gewinn erzielt wird. Vielmehr können erhebliche Verluste die Folge sein. Verträge sind zu halten. Das gilt auch dann, wenn die Verhältnisse ändern. Für besondere Extremfälle hat der Gesetzgeber daher eine Notlösung zur Anpassung von Fixpreisen vorgesehen.
Im Falle von a.o. Umständen, die nicht vorausgesehen werden konnten und die Fertigstellung übermässig erschweren, kann eine Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrages verlangt werden (Art. 373 Abs. 2 OR / gleichlautende Bestimmung in Art. 59 SIA-118). Hierzu sei noch der Hinweis gemacht, dass gerade grosse Generalunternehmer zeitweilen versuchen, dem Unternehmer in den allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Verzicht auf diese Möglichkeit «unterzujubeln». Es gilt also, die AGBs genau zu prüfen.
Damit setzt die Anpassung des Fixpreises ohne Teuerungsabrechnung (Pauschal- oder Einheitspreis) zweierlei voraus:
- Vorliegen a.o. Umstände, welche nicht voraussehbar waren;
- übermässig Erschwerung in der Fertigstellung des Werkes
Es ist von grosser Wichtigkeit zu betonen, dass die a.o. Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehbar sein durften. Das Gesetz geht von einem vorsichtigen und sachkundigen Unternehmer aus, der die Risiken bewertet hat. Der Massstab ist sehr streng. Insbesondere hängt es von dem Umständen auf dem Bau sowie der Dauer des Bauvorhabens ab. Soweit trotz Kenntnis der Situation keine Regelung zur Teuerung aufgenommen wurde, gilt das Risiko als akzeptiert und der Preis kann später nicht angepasst werden. Der Unternehmer muss das Bauwerk trotz Verlust ausführen.
Eine übermässige Erschwerung in der Fertigstellung liegt dann vor, wenn die Mehrkosten zu einem krassen Missverhältnis zwischen der Leistung des Unternehmers und der vereinbarten Vergütung führen. Ein Verlust bedeutet per se noch keine übermässige Erschwerung. Gewisse Verbände haben in internen Weisungen eine Preiserhöhung von 5 % im Vergleich zum Stichtag als übermässig betrachtet (über eine Zeitspanne von 6 Monaten). Neben den hier erwähnten Materialteuerungen können auch sonstige Umstände wie Naturereignisse, stark gestiegene Lohnkosten oder Zwangsschliessungen für die Begründung einer übermässigen Erschwerung in Betracht kommen.
Wichtig ist, dass der Unternehmer bei Kenntnis von a.o. Umständen sofort eine entsprechende Meldung an den Auftraggeber machen muss (Empfehlung: schriftlich). Wird die Meldung unterlassen, so verwirkt der Anspruch.
Betrachtet man die letzten zwei Jahre wird klar, dass die Vereinbarung einer Regelung zur Teuerung unumgänglich ist (nach SIA-118 oder eigene spezifische Regelung). Das Risiko ist beim Abschluss künftiger Werkverträge im Hinterkopf zu behalten. Sobald a.o. Umstände eintreten, welche die Ausführung erschweren ist der Auftraggeber schriftlich zu informieren. In den allermeisten Fällen kann im Dialog eine Lösung für die Preisanpassung gefunden werden.