von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 16. Sep 2024 | Forderungsinkasso
Die Schweizer sind dafür bekannt, dass sie ihre Rechnungen grundsätzlich seriös und pünktlich bezahlen. Soweit das Vorurteil. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass dem die Praxis eklatant gegenübersteht. Aus einer Statistik des Bundes von 2022 geht hervor, dass weit über 10 % aller Schweizer in einem Haushalt mit Zahlungsrückständen leben. Die Steuerbehörden anerkennen diesen Umstand ebenfalls an und erlauben – föderalistisch unterschiedlich – je nach Kanton 5 – 10 % Wertberichtigung auf den Debitorenbestand (Delkredere).
Soweit zur Statistik: In der Praxis zeigt sich, dass viele Kunden die Zahlung der Rechnung für Lieferungen und Leistungen entweder vergessen oder bewusst nicht bezahlen. An diesem Punkt stellt sich für die Unternehmer die Frage nach der Vollstreckung.
Schweizerisches Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Die Mahnung ist immer der erste Schritt, eine offene Rechnung einzufordern. Oftmals wird dies mit einer Mahngebühr verbunden (CHF 10.-, 20.- etc.). Es sei darauf hingewiesen, dass solche Gebühren im späteren Verfahren aber nur dann berücksichtigt werden können, wenn dies im Vertrag explizit vereinbart wurde. Eigener Aufwand fällt – leider – ausser Betracht.
Zahlt der Kunde auch nach einer Mahnung nicht, ist als nächstes die formelle Vollstreckung anzugehen. Hierfür wird ein Betreibungsbegehren beim Wohnort des Schuldners eingereicht. Im Anschluss wird dem Schuldner der Zahlungsbefehl zugestellt. Auf diesem Formular kann der Schuldner gegen den Betrag sogenannten Rechtsvorschlag erheben. Dies bedeutet nichts anderes, als dass er die Forderung bestreitet. Unternimmt der Schuldner innert einer Frist von 10 Tagen nichts, ist der Zahlungsbefehl gültig und es kann das Fortsetzungsbegehren zur Pfändung gestellt werden.
Beseitigung Rechtsvorschlag – formelles Verfahren
In der Praxis erheben sehr viele Schuldner einen Rechtsvorschlag. Meistens wird ein solcher auch erhoben, wenn der Schuldner sehr genau weiss, dass er den Betrag noch schuldig ist (aus Trotzreaktion, aus Verzweiflung, aus Unkenntnis, um Zeit zu gewinnen …). Die Unternehmer sind anschliessend gehalten, die Sache ökonomisch zu beurteilen. Die Betreibung selber löst nämlich bereits Kosten von knapp CHF 100.- aus. Für die Beseitigung des Rechtsvorschlages kommt es sodann darauf an, auf welcher Grundlage die Forderung basiert:
- Basis Rechnung ohne weitere Sicherung
Besteht nur eine einfache Rechnung, muss für die Beseitigung des Rechtsvorschlages der ordentliche Zivilprozess eingeleitet werden. Zuerst findet eine Schlichtungsverhandlung statt, an welcher der Schuldner aber fernbleiben kann. Der Gläubiger ist zur persönlichen Teilnahme verpflichtet. Im Anschluss wird ein ordentliches Gerichtsverfahren durchgeführt. Leider sind die Verfahren überaus kostenintensiv und oftmals steht der Aufwand in keinem Verhältnis zur Grundforderung von vielleicht nur wenigen hundert Franken. Sofern der Schuldner eine juristische Person (Gesellschaft) ist, kann zudem im Kanton St. Gallen die Zuständigkeit des Handelsgerichts vorliegen (Konsequenz: Fachlich hochkompetent aber umfangreich, langwierig und teuer).
- Basis Rechnung und unterschriftliche Anerkennung durch den Schuldner
Viel besser ist die Ausgangslage, wenn der Schuldner den Betrag unterschriftlich anerkannt hat. Dies ist in diversen Formen denkbar (bspw. reicht ein Brief des Schuldners, in welchem steht: «Ich weiss, dass ich noch CHF XY schulde, aber ich kann es dir erst in 2 Wochen bezahlen.»). Wichtig ist, dass die Schuldanerkennung unterschrieben ist. Liegt eine solche Schuldanerkennung vor, kann ohne Schlichtungsverfahren ein Gesuch beim Kreisgericht auf sogenannte provisorische Rechtsöffnung eingereicht werden. Das Verfahren findet sodann nur schriftlich statt und ist überaus speditiv.
- Basis Rechnung und Urteil mit Feststellung Forderung
In der Praxis wenig relevant sind die Fälle, in welchen die Forderung bereits im Voraus durch ein Gericht festgestellt oder in einer Urkunde festgelegt wurden. In diesem Fall würde die Rechtsöffnung auch durch das Kreisgericht in einem einfachen Verfahren erteilt.
Beseitigung Rechtsvorschlag – einfaches / praktisches Verfahren
In der Praxis reicht es nach der Erhebung des Rechtsvorschlages oftmals schon, mit dem Schuldner das Gespräch zu suchen und die Gründe für den Rechtsvorschlag / das Nicht-Bezahlen herauszufinden. Sofern der Grund in einem Liquiditätsengpass liegt, sind die Unternehmer oft gut beraten, eine einfache Abzahlungsvereinbarung mit einer Schuldanerkennung zu schliessen. Dies ermöglicht dem Schuldner eine sukzessive Rückzahlung ohne Beizug des Betreibungsamtes (eventuell sogar mit einer Löschung des Eintrages) und den Unternehmern erspart es ein kostenintensives und langes Gerichtsverfahren. Damit ist beiden Parteien geholfen.
Fazit
Die Betreibung von Forderungen ist in der Schweiz überaus einfach und theoretisch auch ohne konkreten Grund möglich. Bei der Beseitigung des Rechtsvorschlages sind unter Umständen Vorgehensweisen ausserhalb der gesetzlichen Regelung / einvernehmliche Lösungen zielführender. Wichtig ist, die Situation bereits bei der Einleitung zu prüfen. Gerne unterstützten wir Sie dabei.
von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 17. Jul 2024 | Baurecht
Das Bau- und Umweltdepartement St. Gallen hat kürzlich in einem Entscheid (BUDE 2023 Nr. 88) die bisherige Praxis in Bezug auf die Erschliessung von Grundstücken zweiter Bautiefe geändert.
Ausgangslage
Die Ausgangslage gestaltet sich folgendermassen: Sie sind Eigentümer der Parzelle 2 und möchten diese überbauen. Ihre Parzelle grenzt nicht direkt an eine öffentliche Strasse. Vor Ihrer Parzelle 2 befindet sich die Parzelle 1, welche direkt an der Kantonsstrasse liegt. Seit vielen Jahren besteht aber eine im Grundbuch eingetragene Zufahrt (Grunddienstbarkeit) und Ihre Parzelle 2 als Grundstück in der zweiten Bautiefe ist über diese Privatstrasse erschlossen.
Was galt bisher?
Damit ein Grundstück als «baureif» gilt und überbaut werden darf, muss es hinreichend erschlossen sein. Dies bedeutet, dass unter anderem eine hinreichende Zu- und Wegfahrt bestehen muss. Bis anhin zählten Hauszufahrten auf dem eigenen Baugrundstück nicht zu der Feinerschliessung und wurden meistens privatrechtlich mittels Fuss- und Fahrwegrecht geregelt (GVP 2011 Nr. 21). Damit eine hinreichende Zu- und Wegfahrt gegeben ist, musste die Strasse daher bis anhin nicht klassiert, resp. der Öffentlichkeit gewidmet werden. Vielmehr galt das Grundstück auch ohne Klassierung als hinreichend erschlossen. Eine Klassierung der Privatstrasse wurde zwar manchmal auch verlangt, jedoch nur bei mehreren Wohneinheiten (konkreter Fall des Departementes: Bei acht Wohneinheiten war eine privatrechtliche Erschliessung im Jahr 2005 nicht mehr genügend).
Keine Probleme ergaben sich bisher, wenn man ein einfaches Ein- oder sogar Mehrfamilienhaus in der zweiten Bautiefe mit einer Privatstrasse über ein Drittgrundstück zugänglich machte. Diese Privatstrassen galten nicht als «Feinerschliessungsanlagen» und wurden entsprechend nicht klassifiziert / im Strassenplan aufgenommen.
Was hat das Baudepartement neu festgelegt?
Das Baudepartement legt nunmehr unmissverständlich fest, dass eine Zufahrt, welche über ein Drittgrundstück führt und ein Baugrundstück in zweiter Bautiefe mit wenigstens einer Wohneinheit erschliesst, als Feinerschliessungsanlage gilt und damit klassifiziert werden muss (mind. als Gemeindestrasse 3. Klasse). Diese Regelung gilt nicht nur bei einer Erweiterung der Wohnnutzung (zusätzliche Wohneinheiten), sondern auch bei Nutzungsänderungen.
Konkreter Wortlaut Baudepartement: «Für die Öffentlichkeitserklärung ist die Anzahl der zu erschliessenden Grundstücke oder Wohneinheiten nicht relevant; entscheidend ist einzig, ob die Strasse der Feinerschliessung dient oder ob sie nur eine private Hauszufahrt darstellt. Eine Strasse wird deshalb gem. Praxis des BUD stets dann als Feinerschliessungsanlage betrachtet … wenn sie über ein Drittgrundstück geführt wird, um ein Grundstück in zweiter Bautiefe mit wenigstens einer Wohneinheit zu erschliessen.»
Was muss neu beachtet werden?
Zur Vereinfachung Ihrer Situation, finden Sie nachstehend ein kurzes Prüfschema, um einzuschätzen, ob die Praxisänderung für Sie relevant ist:
- Verfügen Sie über ein Grundstück in der zweiten Bautiefe?
Ja
- Ist das Grundstück mit einer Strasse über das davor liegende Grundstück (1. Bautiefe) erschlossen?
Ja
- Ist die Strasse öffentlich klassifiziert?
Nein
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird die Zufahrt als «Feinerschliessungsanlage» betrachtet. Dies trägt die Folge mit sich, dass die Strasse zumindest als Gemeindestrasse dritter Klasse zwingend öffentlich erklärt werden muss. Für diese Öffentlicherklärung ist die Gemeinde zuständig. Für ein künftiges Bauprojekt wäre also vorher ein Gesuch bei der Gemeinde einzureichen.
Was passiert, wenn die Zufahrt noch nicht klassiert ist und man trotzdem die Liegenschaft auf dem Grundstück umbauen möchte?
Das Grundstück gilt dann als nicht hinreichend erschlossen. Dies ist relevant, wenn man für den Umbau oder die Renovation oder sogar den Neubau, eine Baubewilligung benötigt. Eine solche kann nämlich abgewiesen werden mit Hinweis darauf, dass das Baugrundstück nicht hinreichend erschlossen ist. Bevor man eine Baubewilligung beantragt, ist es deshalb wichtig, im Strassenplan nachzuschauen, ob die Zufahrt bereits klassiert ist. Ansonsten ist es ratsam, eine Öffentlicherklärung der Zufahrt bei der Gemeinde zu verlangen.
Nina Ramsauer und Andreas Mattle
von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 07. Dez 2023 | Erbrecht und Vorsorge
Die besinnliche Adventszeit verbringen die meisten im Kreis der Familie. Gerade Weihnachten ist als Familienfest ungeschlagen. Alle kommen zusammen: Grosseltern, Geschwister, Kinder, Ehegatten und Konkubinatspaare? Obwohl die Ehe nach wie vor – zumindest in rechtlicher Hinsicht – eines der besten Gesamtpakete für die Absicherung und gegenseitige Stützung ist, entscheiden sich immer weniger Paare für dieses Institut. Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Statistik lebt die Hälfte der 35 – 44-jährigen Paare ohne Kinder im Konkubinat. Paare mit Kindern sind eher verheiratet.
Die Gründe für das Konkubinat – oder gegen die Ehe – mögen v.a. in der Steuerbelastung liegen. Dabei wird ein grosser Nachteil in den vermeintlich jungen Jahren der Konkubinatspartner oft vergessen: Die Erbschaftssteuer.
Aktuelle Gesetzeslage
Während Verfügungen von Todes wegen (Erbschaften) an die eigenen Nachkommen oder die Ehegatten steuerbefreit sind, werden alle anderen Empfänger (Eltern, Geschwister, andere Personen) mit einem Steuersatz von 10 – 30 % belastet. Obwohl das Konkubinat in verschiedenen Punkten der Vorsorge (bspw. Begünstigung in der 3. Säule oder BVG) bereits angekommen ist, gelten Konkubinatspartner im Erbfall steuerlich als sog. «übrige Empfänger» und werden daher mit einem Steuersatz von immensen 30 % belegt. Der Freibetrag beläuft sich auf geradezu vernachlässigbare CHF 10’000.00.
Die Situation stellt Konkubinatspaare im Erbschaftsfall vor erhebliche Steuerbelastungen. Die praktischen Probleme daraus werden insbesondere dann noch verschärft, wenn eine gemeinsame Liegenschaft besteht, welche es zu halten gilt.
Rechenbeispiel (alt): Bei einem Nettonachlass des Konkubinatspartners von CHF 200’000.00 beträgt die Steuerlast
CHF 57’000.00. Bei einem Nettonachlass von CHF 500’000.00 beträgt die Steuerlast CHF 147’000.00.
Gesetzesrevision StG SG per 01.01.2024
Im Jahr 2021 erreichte dieses Rechenbeispiel und die Statistik wohl auch den St. Galler Kantonsrat. Eine Motion der Mitte-Fraktion zur Anpassung der Erbschaftssteuer für Konkubinatspartner wurde mit nur einer Gegenstimme gutgeheissen. Das entsprechende Gesetz tritt per 1. Januar 2024 in Kraft.
Gemäss der neuen Regelung (Art. 153 ff. StG) beträgt der Freibetrag für Konkubinatspaare neu CHF 25’000.00. Der Steuersatz wurde auf 10 % reduziert.
Rechenbeispiel (neu): Bei einem Nettonachlass des Konkubinatspartners von CHF 200’000.00 beträgt die Steuerlast neu «nur» noch CHF 17’500.00. Bei einem Nettonachlass von CHF 500’000.00 beträgt die Steuerlast neu noch CHF 47’500.00.
Fazit
Die Gesetzesanpassung entschärft die Situation der Konkubinatspaare im Todesfall deutlich. Wenn man sich für das Zusammenleben ohne das Institut der Ehe entscheidet, empfiehlt es sich jedoch, die Gemeinschaft und die Vorsorge auf eine solide vertragliche Grundlage zu stellen. Wir beraten Sie dabei gerne.
von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 17. Okt 2023 | Kanzlei News
Unlängst sagte mir ein Mandant in einer Besprechung: «Ihr Anwälte und die Behörden seit doch alle noch in der digitalen Steinzeit.» Wer heute an ein Gericht oder eine Anwaltskanzlei denkt, hat nicht selten noch riesige Papierberge auf meterlangen Bürotischen im Kopf. Man kann sich den Staub geradezu vorstellen. Zugegebenermassen vermag dieses Vorurteil auch heute noch auf verschiedene Kolleginnen und Kollegen zutreffen. Es ist aber ein Fakt, dass sämtliche Schweizer Behörden (inkl. Gerichte) zusammen mit dem Schweizerischen Anwaltsverband im Rahmen des sog. Projektes «Justitia 4.0» volldigitalisiert werden. Dieses beinhaltet die vollständige und ausnahmslose elektronische Kommunikation zwischen Anwälten und Behörden inkl. Gerichten. Das Projekt geht so weit, dass ab dem Jahr 2027 Eingaben an staatliche Stellen ausnahmslos nur noch digital via einer elektronischen Plattform möglich sein werden (inkl. gesetzlichem Zwang für Anwälte). Das Projekt befindet sich aktuell in der Testphase und wird im Jahr 2024 in einigen Kantonen in einen Pilotbetrieb übergehen. Das Gesamtprojekt ist im Zeitplan, weshalb sich jede Kanzlei an den Wandel frühzeitig anpassen muss.
Einen wichtigen Schritt zur Volldigitalisierung des Rechtsverkehrs hat der Gesetzgeber bereits im Jahr 2005 mit dem Gesetz zur elektronischen Signatur vorgenommen. Die Art der rechtsgültige Unterschrift im Sinne des Gesetzes (Art. 14 OR) ist für den Geschäftsverkehr von absolut zentraler Bedeutung. Mit vernachlässigbaren Ausnahmen war die gültige Unterschrift bis anhin nur «eigenhändig» gültig. Unterzeichnungen im pdf. / als Kopie sind in der Praxis zwar weit verbreitet, jedoch ungültig (und im Übrigen auch riskant). Entsprechende Eingaben an Behörden gelten formal eigentlich als nicht erfolgt, werden kollegialiter aber oft akzeptiert.
Die elektronische Unterschrift ist gemäss Gesetz dieser eigenhändigen Unterschrift gleichgesetzt. Dabei handelt es sich um die sogenannte «qualifizierte elektronische Signatur». Für diese ist vorausgesetzt, dass das hierfür verwendete Programm von einem durch die Eidgenossenschaft zertifizierten Anbieter stammt. Aktuell gibt es in der Schweiz vier solche Anbieter, wobei die Systeme interoperabel sind. Die Hersteller ermöglichen dabei auch weitere Arten von elektronischen Signaturen, welche zwar die Glaubwürdigkeit des Absenders erhöhen / sicherstellen, jedoch nicht der eigenhändigen Unterschrift gleichkommen. Noch nicht möglich sind digitale Beurkundungen, wobei eine gesetzliche Grundlage im Jahr 2021 erarbeitet wurde.
Unsere Kanzlei ist bereits heute im Vergleich mit anderen Anwaltskanzleien überaus weit mit der Digitalisierung. Einzelne Anwälte führen ihre Falldossiers vollelektronisch und verkehren auch so mit den Behörden. Wir beabsichtigen im kommenden Jahr die vollständige Digitalisierung weiter umzusetzen und ermutigen nicht zuletzt auch unsere Partner dazu, uns die notwendigen Dokumente digital zur Verfügung zu stellen.
von Andreas Mattle, MLaw utr. iur. Rechtsanwalt und Notar, Partner | 08. Aug 2023 | Gesellschaftsrecht
Neues Aktienrecht – was KMU beachten sollten
Seit dem 1. Januar 2023 ist das neue Aktienrecht in Kraft. Es betrifft sowohl Aktiengesellschaften als auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Es wurden eine Vielzahl von Änderungen vorgenommen. Für kleinere und mittlere Unternehmungen stellt sich damit die Frage, welche Änderungen für den eigenen Betrieb relevant sind.
Vorab sei darauf hingewiesen, dass die Auswahl natürlich nicht abschliessend ist. Auch für KMUs können hier nicht beschriebene Neuerungen relevant sein (Aktienkapital in Fremdwährung, Mindestnennwert von einem Rappen der Aktien / Stammanteile, Möglichkeit der Zwischendividende, neue Bestimmungen zur Sachübernahme, Einführung Geschlechterquoten, Kapitalband etc.). In der Praxis machen wir aber die Erfahrung, dass insbesondere die nachstehenden Bereiche für eine Anpassung / allgemeine Information sinnvoll sind:
Virtuelle Generalversammlung und Verwaltungsratssitzung
Neu besteht die Möglichkeit sowohl die Generalversammlungen als auch die Verwaltungsratssitzungen virtuell (via Videokonferenz / Zoom / Teams etc.) abzuhalten. Ebenso ist eine Mischform bzw. «hybride» Durchführung möglich. Es ist aber sicherzustellen, dass die Identität der Teilnehmer festgestellt werden kann, die Voten der Generalversammlung unmittelbar übertragen werden, sich jeder Teilnehmer an der Diskussion beteiligen sowie das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann.
Während die digitale / hybride Durchführung der Generalversammlung bei den meisten Gesellschaften wohl eher die Ausnahme bleiben dürfte, wird die digitale und hybride Durchführung von Verwaltungsratssitzungen in der Praxis wohl eine grosse Bedeutung erlangen. Bisher war die Durchführung solcher hybriden Verwaltungsratssitzungen umstritten. Mit der Gesetzesänderung schafft der Gesetzgeber nun eine explizite Grundlage. Dabei ist zu beachten, dass die Protokollvorschriften weiterhin gültig bleiben (vgl. nachstehend). Ebenso ist eine Ergänzung / Änderung der Statuten empfehlenswert.
Protokollierung Generalversammlung, Detailangaben
Der Artikel 702 OR, welcher den Mindestinhalt des Protokolls der Generalversammlung betrifft, wurde ebenfalls ergänzt. Neu müssen sowohl das Datum, die Uhrzeit (Anfang und Ende), die Art und der Ort der Generalversammlung im Protokoll aufgeführt werden. Konkret bedeutet dies, dass im Protokoll der Generalversammlung der Muster AG festgehalten wird, dass die ordentliche Generalversammlung am 10. Mai 2023 um 18:00 Uhr im Restaurant Rössli beginnt und um 19:00 Uhr endet. Die übrigen Bestimmungen bleiben gleich, wobei bei einer «digitalen Generalversammlung» bzw. bei Verwendung elektronischer Mittel relevante technische Probleme aufgeführt werden müssen.
Bisher waren diese Angaben nicht zwingend und sind damit in vielen Vorlagen nicht aufgeführt. Wir empfehlen daher eine Überprüfung der bisher verwendeten Vorlagen.
Standardmässige Delegationskompetenz der Geschäftsführung
Bisher war für die Delegation der Geschäftsführung durch den Verwaltungsrat – vornehmlich an einen angestellten Geschäftsführer – eine explizite statutarische Grundlage notwendig. Das neue Recht sieht diese Möglichkeit nun explizit vor, wobei die Statuten die Möglichkeit beschränken können.
Information über Interessenkonflikte
Bisher war der einzelne Verwaltungsrat und die berufene Geschäftsführung nicht explizit bzw. nur im Rahmen der «allgemeinen Treuepflichten» dazu verpflichtet, Interessenkonflikte der Gesellschaft mitzuteilen. Das neue Aktienrecht schafft eine Bestimmung, wonach diese Meldungen nun zwingend sind. Es empfiehlt sich, die Meldungen schriftlich vorzunehmen und in das Protokoll zu integrieren.